Technik #58

Starke Stimme

 

Die Technik „Starke Stimme“ ist eine wirksame Methode der Klassenführung und hilft dabei, eine geordnete und strukturierte Klassenzimmerkultur aufzubauen. Wirksame Klassenführung können alle lernen, da sie einfach aus einer Reihe von anzuwendenden Techniken besteht. Eine davon ist die „Starke Stimme“.   

Dazu ein Beispiel: Martin hat den Eindruck, dass ihm die Klasse immer wieder „entgleitet“. Die Schüler befolgen seine Anweisungen wenig oder nur zögernd, es herrscht eine ständige Unruhe in der Klasse – eine Art Hintergrundmurmeln, gegen welches Martin mit seiner lauten Stimme, die immer lauter und lauter wird, „anzukämpfen“ versucht. Manchmal explodiert er förmlich und schreit und tobt in der Klasse herum. Er erreicht dadurch kaum etwas, außer dass die Kinder für ein paar Minuten eingeschüchtert schweigen. Am Ende eines jeden Tages ist Martin vollkommen erschöpft.  

Die Technik der „Starken Stimme“ würde Martin helfen. Sie beinhaltet mehrere Elemente, die zu einem geordneten Unterricht beitragen können. Einige davon werden wir hier nun vorstellen: Der weithin bekannte „Stille Start“ besteht darin, dass sich die Lehrkraft am Anfang des Unterrichts mit Selbstvertrauen aufrecht und mit zurückgezogenen Schultern vor die Klasse stellt, und wartet, bis es absolut (!) still ist. Erst dann beginnt sie mit dem eigentlichen Unterricht.

Im Laufe der Jahre hatten mein Team und ich das Glück, hunderte von Lehrkräften zu beobachten, die einen vibrierenden, präzisen und mit Freude geführten Unterricht führten, der in geordneten Bahnen verlief und sehr produktiv war. […] Umso besser wir diese Lehrkräfte analysierten, desto klarer wurden uns bestimmte Muster in ihrer Art und Weise, wie sie Schüler dazu bewegten, ihre Anweisungen im Unterricht zu befolgen.

– Doug Lemov

„Starke Stimme“ bedeutet auch, dass die Lehrkraft insbesondere dann, wenn sie Anweisungen gibt oder wichtige Dinge erklärt, nicht weiterspricht, wenn sie nicht die volle Aufmerksamkeit aller hat. Wenn während der Anweisung oder einer wichtigen Inputphase ein Gemurmel entsteht, unterbricht sich die Lehrkraft konsequent sofort selbst und wartet wieder, bis es still ist. Einmal eingeführt und konsequent umgesetzt hat diese Methode bald einen spürbaren Effekt. Wenn eine Lehrkraft redet, obwohl es in der Klasse unruhig ist, sendet sie die Botschaft, dass es nicht so wichtig ist, ob man ihr zuhört oder nicht. Wenn das, was die Lehrkraft sagt, wert ist, dass es beachtet wird, haben alle Schüler auch das Recht und die Pflicht, es zu hören.

Wichtig ist, dass man nicht immer in der starken Stimme spricht. Wenn Lerninhalte besprochen und diskutiert werden, sollte keine starke, formale Stimme verwendet werden, sondern mit einer warmen und freundlichen Stimme interagiert werden, die eine lockere Unterrichtsatmosphäre schafft. Die Schüler sollten erkennen, in welchem “Register” man sich gerade befindet. 

Starke Stimme bedeutet auch

• nicht herumzugehen oder andere Tätigkeiten durchzuführen (beispielsweise ein Arbeitsblatt austeilen), wenn man Anweisungen gibt,
• wenige Worte bei Anweisungen zu sprechen – viele Worte signalisieren Nervosität und Unentschiedenheit und bewirken meist Unverständnis und
• leiser zu werden, wenn die Klasse lauter wird.  

Wenn Anweisungen nicht befolgt werden oder eine Lehrperson die Kontrolle über die Klasse verliert, ist die erste (und falsche Reaktion) oft, dass sie lauter und schneller spricht. Damit zeigt sie aber, dass sie nervös ist, die Kontrolle verliert und vielleicht auch etwas Angst hat. Die Botschaft, die sie dann an die Schüler sendet, ist: „Ihr könnt mich und meine Emotionen kontrollieren.“ Dabei tritt oft der gegenteilige Effekt ein, denn als Faustregel gilt: „Eine laute Lehrkraft macht auch die Klasse lauter.“ „Starke Stimme“ in solchen Situationen heißt, auch wenn es gegen alle Instinkte geht: Langsamer und ruhiger sprechen, um die Kontrolle wieder zu erlangen!

Martins Schreien bringt vielleicht manchmal kurzzeitig Erleichterung, ist aber jedenfalls langfristig immer ineffektiv. Wenn er schreit, zeigt er, dass er die Kontrolle verloren hat und manchmal ist Martins Wutausbruch das Amüsanteste und Spannendste, was seine Schüler an einem sonst eher eintönigen Vormittag so erleben dürfen. Und sie haben schnell herausgefunden, was sie tun müssen, um sich häufiger auf diese Weise zu amüsieren. Mit der Technik der starken Stimme hat Martin ein erlernbares Werkzeug, um erste Schritte in Richtung einer geordneten Klassenkultur zu setzen und seinen täglichen Stress zu reduzieren.